Wie professionelles Change Management Sozial- und Pflegeeinrichtungen bei Digitalisierungsprojekten helfen kann

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Wie professionelles Change Management Sozial- und Pflegeeinrichtungen bei Digitalisierungsprojekten helfen kann

Ob beim Spieleabend mit Schüler*innen auf Discord oder bei der Online-Pflichtfortbildung mit seinem Pädagog*innen-Team auf Relias – Schulsozialarbeiter Khang Huynh von der Realschule Engstingen begegnet die Digitalisierung und ihre neuen Tools ständig und überall im Arbeitsalltag. Nebenberuflich absolviert er das Masterstudium „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg CAS, um sich fit für Themen wie Datenschutz, problematische Inhalte im Netz und Gegenwind bei Digitalisierungsprojekten zu machen.

double_arrowWoher kommt Ihr Interesse für das Thema Digitalisierung?

Im Arbeitsalltag merke ich, wieviel Einfluss die Digitalisierung auf meine Arbeit hat. Egal, ob es um die Einführung einer neuen Software oder E-Learning Plattform geht, den Einsatz von Tablets im Schulunterricht oder um den Umstieg von der Papier- auf E-Akte – die Möglichkeiten sind unendlich und die Frage lautet immer: Wie bekommen Bildungseinrichtungen oder soziale Einrichtungen wie die Mariaberger Tochtergesellschaft Ausbildung & Service gGmbH, bei der ich angestellt bin, solche Veränderungen gestemmt? 

Als die Schüler*innen während der Pandemie und des Lockdowns kaum noch für uns erreichbar waren, habe ich versucht, außerschulische Projekte über Social Media anzubieten, zum Beispiel einen Spieleabend auf der Plattform Discord. Im Rahmen einer Musik-Challenge haben wir Musikstücke über Social Media komponiert und hochgeladen. Das fand großen Anklang, hatte aber auch datenschutzrechtlich viele offene Fragen. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt und mir Einverständniserklärungen eingeholt, doch irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich mich besser absichern und wissen wollte, wie es wirklich richtig geht. Darum habe ich mich für das Masterstudium „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ entschieden.

double_arrowIst es eher ermutigend oder entmutigend, tiefer in die Komplexität der Digitalisierung einzusteigen?

Der Datenschutz ist und bleibt ein leidiges Thema, aber die Auseinandersetzung damit ist unabdingbar und die Vorlesung hat mir sehr geholfen. Der Studiengang „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ der DHBW CAS bietet mir wahnsinnig viele Eindrücke aus verschiedensten Bereichen sowie zu den Megatrends der Digitalisierung und bringt mich dazu, über den Tellerrand zu schauen.

Besonders einprägsam fand ich die Arbeit mit dem Miro-Board. Damit lassen sich virtuelle Vorlesungen toll gestalten und ich habe es gleich selbst mit meinen Schüler*innen benutzt. Im Gegensatz zu Zoom, wo man für Gruppendiskussionen auf so genannte Breakout-Räume verteilt wird, behält man bei Miro den Überblick über die gesamte Veranstaltung. Jede*r Teilnehmer*in wird durch ein kleines Pünktchen dargestellt und kann sich durch Verschieben des Pünktchens in die Gruppe bewegen, mit der er oder sie gerade sprechen möchte. Man kann zu den anderen sagen: „Alle, die sich für dieses oder jenes Thema interessieren, treffen sich in der Mitte des Bildschirms“, und dann bewegen alle ihre Pünktchen dorthin. Wie auf einer echten Tagung. 

Auch das Tool Mentimeter hat mir gefallen, es ist interaktiv und sehr eindrücklich. Man kann damit Live-Abstimmungen machen und auf dem Beamer sofort die Ergebnisse präsentieren. Ich habe es in einem Klassenprojekt eingesetzt und die Schüler*innen gefragt, welche Social Media-Kanäle sie benutzen. Ganz schnell haben wir an den Abstimmungsergebnissen gesehen, dass TikTok der Vorreiter ist und Facebook vom Nachwuchs gar nicht mehr genutzt wird. 

double_arrowSehen Sie außer dem Datenschutz noch weitere Risikofaktoren der Digitalisierung?

Die Gefahren der sozialen Medien gehen nicht weg, nur weil man sich weitergebildet hat. In unserer Schule gibt es mindestens einen Cybermobbingfall pro Monat und das Thema Nacktfotos ist wahnsinnig groß. In einem Fall stand zwischen zwei Siebt- und Achtklässlern eine „Freundschaft plus“ im Raum und das Mädchen wollte durch das Versenden eines Nacktfotos klare Verhältnisse schaffen. „Ich habe mir nichts dabei gedacht“, sagte sie, und schon gar nicht, dass der vermeintliche Freund ihre Fotos weiterverkaufen würde.

Das Problem ist, dass man hundertmal mit den Kindern und Jugendlichen über die Risiken sprechen kann, erstmal sagen sie: „Jaja, das sagen Mama und Papa oder meine Lehrer*innen auch.“ Trotzdem bleiben sie bei dem naiven Grundvertrauen, dass alle anderen in der digitalen Welt genauso zuverlässig sind wie sie selbst. Es fehlt der Weitblick. Erst wenn dann etwas passiert und man konkret betroffen ist, ist die Panik plötzlich groß.

Wir können als Erwachsene nichts anderes tun als immer wieder mit den Kindern und Jugendlichen darüber zu sprechen und ihnen einzubläuen: dies kann passieren, das ist die Rechtslage. Wenn Du Nacktfotos von Minderjährigen auf Deinem Handy hast oder verschickst, machst Du Dich strafbar. Wenn Du Nacktfotos online hochlädst, bleiben sie für immer auf den Servern gespeichert und es kann Blödsinn damit getrieben werden. Wenn man nur ein, zwei Schüler*innen pro Klasse abholen kann, hat man schon etwas erreicht. In den letzten drei Jahren haben wir die Aufklärungsstunden an unserer Schule ordentlich aufgestockt. Das ist unfassbar wichtig!

double_arrowJugendliche gehen leichtsinnig mit digitalen Tools um, Erwachsene oft eher ablehnend…

Ja, das habe ich, als in dem Trägerunternehmen, in dem ich angestellt bin, Online-Pflichtschulungen eingeführt wurden, tatsächlich so erlebt. Die Kolleg*innen winkten ab: „Ich und Computer? Nein…“, entschuldigten sich: „Ich bin halt noch n bissl oldschool…“ oder reagieren fast bockig: „Das ist ja die totale Überwachung!“ Vom Sozialarbeiter bis zur Jugend- und Heimerzieherin gab es viele negative Reaktionen. Dabei ging es erstmal nur um Pflichtfortbildungen zum Brandschutz, Unfallschutz und Datenschutz. Das Unternehmen hatte sich den externen Anbieter Relias, eine Lernplattform für das Gesundheitswesen, dazugeholt, der auch gleich die Zertifikate online ausstellt. 

double_arrowWie kann es besser gehen?

Die Lösung heißt „Change Management“. Veränderungsprozesse müssen begleitet und planvoll gemanagt werden. Ausgangslage und Zielzustand müssen klar definiert werden. Und dann geht es darum, den Weg von A nach B sinnvoll auszugestalten. Change Management als Kompetenz im Unternehmen ist in einer Lebenswelt der ständig verändernden Rahmenbedingungen unerlässlich. Nur so kann man der Globalisierung, Digitalisierung, politischen Veränderungen, neuen Gesetzen, sozialen Veränderungen wie dem demografischen Wandel, neuen Bedürfnissen von Arbeitnehmer*innen nach New Work und Mobilem Arbeiten oder ökologischen Veränderungen wie der Verknappung von Ressourcen entgegentreten. Mehr dazu erläutere ich in meinem Lehrvideo:

Doch egal wie gut man einen Change Prozess vorbereitet, die Digitalisierung wird immer auf Gegenwind stoßen. Das wird nie reibungslos laufen. Man kann den Gegenwind nicht komplett vermeiden, man kann sich aber darauf vorbereiten. Die Leitungskräfte müssen die Kraft aufbringen, standhaft zu bleiben und nicht einknicken und zu alten Prozessen zurückkehren. 

Unser Träger Mariaberg hat zunächst einen Arbeitskreis gestartet und gemeinsam überlegt, wie man Pflichtschulungen während der Pandemie abwickeln kann, als es vor Ort nicht mehr erlaubt war. Es wurde eine Stabsstelle eingerichtet, die Führungskräfte wurden involviert und sie haben wiederum ihre Teams eingebunden. Digitalisierung steht und fällt oft mit der Führungskraft. Wenn sie nicht selbst davon überzeugt ist, dass die Zukunft digital ist, es vorlebt und den Leuten den Wind aus den Segeln nimmt, ist jedes Digitalisierungsprojekt zum Scheitern verurteilt. 

Das ist bei uns aber nicht passiert. Die anfängliche Abneigung gegen Veränderung, die ich sehr menschlich finde, hat sich in Luft aufgelöst, als wir die Onlineschulungen einfach mal ausprobiert haben. Man hat gemerkt, dass man sich die Fahrzeit zum Weiterbildungsort spart, dass man einen Mehrwert hat, dass die neue Software gar nicht so kompliziert und insgesamt alles gar nicht so schlimm ist wie befürchtet. 

Letztendlich kann man beim nächsten Mal einfach nur noch mehr versuchen, den Mitarbeitenden die Angst zu nehmen. Ich bin allerdings erschrocken, wie lange so ein Digitalisierungsprojekt dauert, bis es abgeschlossen ist: zwei Jahre waren es, dabei reden wir „nur“ von einem Schulungstool. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn wir grundsätzliche Prozesse verändern und zum Beispiel Onlineunterricht für unsere Auszubildenden einführen. Aber das wird die Zukunft sein. 

double_arrowWas lernen Sie daraus für die Schulsozialarbeit?

Für mich persönlich ist die Dokumentation von Beratungsgesprächen ein großes Thema. Auch wenn ich Digitalisierung studiere, dokumentiere ich im Gespräch handschriftschriftlich und tippe hinterher alles nochmal ab. Meine Kolleg*innen lachen mich dafür aus. Aber ich habe das Gefühl, wenn ich mit einem Laptop vor einem Schüler sitze, wirkt das wie eine Mauer, wie eine Blockade. Es ist, als wäre man beim Arzt und der würde eine Diagnose in den PC tippen. Und das ist ja nicht das Setting, das ich für ein vertrauensvolles Gespräch brauche. Mit Notizblock und Stift ist das weniger der Fall. 

Eine offene Frage ist also für mich: Wie kann man die Vorteile der Digitalisierung nutzen, aber trotzdem das Zwischenmenschliche nicht ausklammern? Meine Kolleg*innen finden, das sei einfach eine Sache der Umstellung und Einstellung bei Sozialarbeiter*innen und Klient*innen. Ich denke, jeder muss da auch selber seinen persönlichen Weg durch den Digitalisierungsdschungel finden. Andere Dinge sind dann wieder gesetzlich geregelt, z.B. die Frage, wie man Fallakten datenschutzrechtlich korrekt speichert. Was ist, wenn ich den Arbeitgeber wechsele? Muss ich meine Protokolle dann löschen? Was ist dann aber mit der Akteneinsicht? Das sind keine Fragen der persönlichen Neigung, sondern Fragen an den Gesetzgeber.

Interview: Maja Schäfer

Tags: 2023

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