Als Schulsozialarbeiter mit vier Jahren Berufserfahrung in verschiedenen Schulformen und aktuell an der Erich Kästner Gemeinschaftsschule in Laichingen bekommt Markus Pohl hautnah mit, was Kinder und Jugendliche im Internet erleben und zu welchen Problemen das führt. Im Interview plädiert er für mehr Aufmerksamkeit für das Thema Medienkompetenz – im Lehramtsstudium, bei den Eltern, bei den Lehrkräften und im Lehrplan, bei Sozialarbeiter*innen und Präventionsbeauftragten.
double_arrowMit welchen durch die digitale Welt verursachten Problemen sind Sie in der Schulsozialarbeit konfrontiert?
Laut Studien haben 99 % aller Kinder und Jugendlichen Zugang zu einem digitalen Endgerät wie Smartphone oder Tablet. Das ist keine Überraschung. Die Zeit, die Kinder und Jugendliche im Internet verbringen, ist extrem gestiegen. Einen Höhepunkt gab es während der Pandemie, doch obwohl die Zahlen danach wieder etwas gesunken sind, sprechen wir immer noch von durchschnittlich 3,5 bis 4 Stunden digitaler Mediennutzung pro Tag.
Das Internet ist riesengroß und unüberschaubar. Fake News, Verschwörungstheorien, extreme Ansichten sind 40 bis 60 % der Kinder und Jugendlichen allein im letzten Monat dort begegnet. Sie müssen erst lernen, dass man nicht alles glauben kann, was man im Internet liest. Dass nicht alle Beiträge dort vertrauenswürdig sind, dass man Quellen überprüfen muss. Genau das verstehe ich unter Medienkompetenz: nicht etwa den Zugang zu digitalen Medien einzuschränken, womit Eltern es manchmal versuchen, sondern Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen Kinder und Jugendliche den Umgang mit digitalen Medien lernen können.
double_arrowWer muss Medienkompetenz vermitteln, Eltern oder Lehrer*innen?
Eigentlich liegt die Verantwortung ganz klar bei den Eltern. Vielen ist nicht bewusst, dass die Aufsichtspflicht, die sie gesetzlich haben, auch im Internet gilt: auf welchen Webseiten ist das Kind unterwegs, auf welchen Plattformen meldet es sich an, welche Inhalte lädt es sich herunter? Doch die Eltern haben wenig Interesse daran und sind wenig dafür gerüstet. Der Erziehungsauftrag wird heutzutage an die Schulen abgegeben. Das ist ja auch der Ort, an dem man so gut wie alle Kinder erreicht, darum ist das Thema dort auch nicht ganz falsch.
Aber: Auch viele Lehrkräfte an den Schulen sind kaum bis gar nicht dafür geschult, damit umzugehen. Der Bedarf ist riesig, kann aber durch die Lehrkräfte nicht abgedeckt werden. Meines Wissens ist Medienkompetenz im Lehramtsstudium kein zentrales Thema – höchstens am Rande in manchen Seminaren fortschrittlicher Professor*innen – und im Lehrplan taucht es auf, aber nicht in dem Umfang, wie es gerechtfertigt wäre. Und selbst wenn, dann werden Lehrkräfte damit betraut, die sich gar nicht damit auskennen. Oder Präventionsbeauftragte, die wenig Zeit für ihren Sonderauftrag bekommen und zusätzlich noch andere Themen wie Alkohol, Drogen und Sexualaufklärung bearbeiten sollen.
In den Schulen, in denen ich bisher angestellt war, gab es zwei, drei Lehrkräfte im Kollegium, die sich ein bisschen besser mit dem Internet auskannten, die meisten hatten jedoch wenig Know How und auch keine Motivation, es sich anzueignen, weil es so ein großes und schwieriges Thema ist. Ich sehe auch die Lehrer*innen in der Verantwortung, ihre Medienkompetenzen zu erhöhen, aber das findet in der Realität nicht statt.
double_arrowWie lässt sich das Dilemma lösen?
Es gibt externe Mediencoaches, die man im Rahmen von Präventionsprogrammen in die Schule einladen kann. Die kommen dann zum Beispiel drei Wochen hintereinander je eine Doppelstunde und beschäftigen sich mit den Schüler*innen mit dem Thema digitale Medien. Die Coaches kosten nicht wenig Geld, aber es gibt Fördertöpfe, die man anzapfen kann. Für die Schüler*innen ist es ohnehin angenehmer, vor einer externen Person offen über ihre Erlebnisse im Internet zu sprechen als mit Lehrer*innen, die ihnen Noten geben und Kontakt zu den Eltern haben.
double_arrowWas können Schulsozialarbeiter*innen tun?
Unsere Aufgabe ist es, Bedarfe zu erkennen und Lösungen zu schaffen. Manchmal ist die Lösung die Buchung eines externen Coaches. Manchmal sind wir aber auch selber gefragt. Mobbing ist ein Riesenthema. Streitschlichtung gehört mit zu meinen Hauptaufgaben. Früher haben sich die Kinder auf dem Pausenhof gestritten, da konnte man das besser klären. Inzwischen geht es darum, wer in welcher WhatsApp-Gruppe was geschrieben, wer wen auf Instagram blockiert oder wer auf Snapchat welche Bilder herumgeschickt hat. Viele Themen verlagern sich ins Internet.
Manches entzieht sich unserem Zuständigkeitsbereich, wenn es in der Freizeit passiert, aber wenn es sich auf die Schule überträgt, weil dort die Beleidigungen weitergehen, sind wir doch wieder in der Verantwortung. Damit umzugehen, ist sehr komplex. Aussage steht gegen Aussage und wir können kaum noch überblicken, was sich wirklich zugetragen hat. Denn WhatsApp-Chats können gefälscht werden, das habe ich schon erlebt, und Snaps löschen sich automatisch nach 24 Stunden.
double_arrowWie kommt man als Sozialarbeiter*in an das nötige Know How?
Auch im Studiengang Soziale Arbeit ist Medienkompetenz kein Thema. Das Wissen muss man sich entweder selbst aneignen oder man hat es nicht. Und dann fällt es schwer, zum Beispiel an den vielen Angeboten zum Mediencoaching ein gutes für seine Schule auszuwählen. Externes Coaching kann auch nur eine Zwischenlösung sein. Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich unbedingt empfehlen, den Schwerpunkt Medienkompetenzen in jedes Pädagogikstudium zu integrieren.
Ich selbst studiere nebenberuflich den Studiengang „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ am Center for Advanced Studies (CAS) der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Denn die Digitalisierung ist allgegenwärtig, wird immer mehr auch in die Soziale Arbeit eindringen, und da wollte ich mich gut aufstellen. Je tiefer ich in das Thema eintauche, desto erstaunter bin ich, welches enormes Potenzial darin liegt. Wie viele Bereiche man mit digitalen Mitteln vereinfachen könnte, wie man mit digitalen Mitteln den Fachkräftemangel abfedern könnte.
Zum Beispiel beim Thema Therapieplätze für Kinder und Jugendliche. Wenn ein junger Mensch therapeutisch begleitet werden möchte, landet er erstmal für 6 bis 12 Monate auf einer Warteliste, bis Hilfe bereitgestellt werden kann. Das ist in diesem bewegten Alter eine lange Zeit, in der viel schiefgehen kann. ChatBots können hier Abhilfe schaffen. Psychotherapie via ChatBot ist zwar nicht so effizient wie mit echten Therapeut*innen und kann diese keinesfalls ersetzen. Aber der ChatBot kann eine Überbrückung sein. Das wird auch schon in verschiedenen seriösen Projekten angewandt und teils von den Krankenkassen übernommen.
Interview: Maja Schäfer